Carmen Epp in: Luzerner Zeitung online vom 2. Februar 2022
Die Sprengstofffabrik an der Isleten gehört bald der Vergangenheit an. Ein 15-minütiger Film lässt die Geschichte der Cheddite neu aufleben.
1873 von niemand Geringerem als Alfred Nobel, dem Erfinder des Dynamits und Namensgeber des berühmten Preises, gegründet, erlebte die Cheddite, die erste Sprengstofffabrik der Schweiz, durch den Bau der Gotthardbahn bis 1882 eine regelrechte Blütezeit.
Durchschlagende Erfolge verzeichnete die Fabrik an der Isleten auch von 1940 bis 1980 durch den Bau verschiedener Kraftwerke, Festungsanlagen und nicht zuletzt des Gotthard-Strassentunnels. In Spitzenzeiten arbeiteten bis zu hundert Personen in der Cheddite. 2001 wurde die Produktion von Sprengstoff an der Isleten schliesslich aufgegeben, woraufhin Nitroglyzerin bis 2020 ausschliesslich für pharmazeutische Zwecke produziert wurde.
2020 hat die Schweizerische Sprengstoff AG Cheddite die Produktion an der Isleten aufgegeben. Nun wird das bis dahin für pharmazeutische Zwecke produzierte Nitroglyzerin bis zu dessen Verkauf bis spätestens Februar 2023 gelagert, überwacht und analysiert. Dann endet, 150 Jahre nach der Inbetriebnahme 1873, die Ära der Sprengstofffabrik an der Isleten.
Geschichte mit persönlichen Erzählungen von Zeitzeugen
Der Luzerner Filmemacher Jörg Huwyler nahm im vergangenen November an einer Führung in der Cheddite teil und war vom Ort und dessen Lage, den Gebäulichkeiten und vor allem dem Ursprung der Fabrik beeindruckt. Er schlug dem Kantonsarchiv und dem Amt für Kultur und Sport vor, die letzten Aktivitäten in der Cheddite filmisch festzuhalten, bevor diese definitiv ihre Tore schliesst. Die Idee stiess bei den Urner Behörden auf offene Ohren. Und so entstand mit deren Unterstützung eine 15-minütige Doku. Sie trägt den Titel «Explosives Isleten – Das Ende eines Urner Industriebetriebes» und liegt unserer Zeitung exklusiv vor.
Getragen wird der Film von historischem Bild- und Videomaterial von anno dazumal und Interviews mit aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern, Fachpersonen und Aktionären der Schweizerischen Sprengstoff AG Cheddite. Dabei schildern die Zeitzeugen nicht nur Fakten, sondern auch persönliche Erfahrungen.
So erzählt etwa Hansjakob Burkhardt, der als Buchautor von «Dynamit am Gotthard» die Geschichte der Branche wie kein anderer kennt, im Film auch von eigenen Erlebnissen, die er als Sohn des damaligen Fabrikdirektors in den Dreissiger- und Vierzigerjahren machte.
Er erinnert sich, wie die Kisten mit Dynamit teilweise mit den Kursschiffen an der Isleten abgeholt wurden. «Als die Passagiere gelesen haben, was auf den Kisten stand, haben sie sich meistens in den hinteren Teil des Schiffes verzogen», sagt Hansjakob Burkhardt. «Wir haben nur gelacht.»
Und Betriebsleiter Markus Sigrist, der zu den aktuell letzten sechs verbliebenen Mitarbeitern der Cheddite gehört, gewährt einen Einblick in das gefährliche Arbeitsumfeld, in dem man «immer mit einem Fuss im Gefängnis» sei. Durch «absolute Vorsicht und Gottvertrauen» sei er vor Vorfällen verschont geblieben, wie man im Film erfährt.
Tragische Unfälle vor 40 Jahren
So erging es jedoch längst nicht allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Cheddite. So werden im Film auch die tragischen Unfälle vom 1. Februar und 8. Oktober 1982 thematisiert, bei denen sechs Personen ums Leben kamen.
Dabei erinnert sich Ernst Bissig, ein langjähriger Mitarbeiter der Cheddite, an das Unglücksjahr und die Kolleginnen und Kollegen, die er damals verloren hatte. Heute würde man nach einem solchen Vorfall wohl betreut, sagt er. «Damals kannte man das noch nicht. Man musste sich damit zurechtfinden. Und das war schon heftig.»
Um den Opfern von damals zu gedenken und den Schutz der Heiligen Barbara zu erbitten, versammeln sich noch heute ehemalige Arbeitskollegen, deren Frauen und die verbliebenen Mitarbeiter der Cheddite alljährlich am 4. Dezember zur traditionellen Barbara-Feier.
Die letzte dieser Feiern, an denen sich die Vertreter der französischen Besitzer der Cheddite zum Verkauf der Firma mitsamt den Gebäuden und der über 40’000 Quadratmeter grossen Nutzfläche entschlossen haben, wird im Film festgehalten. Dabei sagt Aktionär Thierry Jacomet, man sei über den Entschluss zwar traurig, «aber auch zuversichtlich, dass wir den Ort in gute Hände legen». Gemeint ist damit Samih Sawiris, der das Gelände an der Isleten gekauft hat, um dort eine Marina zu bauen.